Genauso schädlich ist die unnötige, ungleiche Kräfteverteilung im Rotor aus Blattwinkelfehlern und Massenunwucht für die gesamte Windenergieanlage (WEA). Wobei jeder WEA-Typ individuelle Schwachstellen hat, die zuerst erhöhten Verschleiß und Schäden zeigen. Obwohl die WEA vom Boden gesehen sich ruhig und majestätisch im Wind dreht, herrscht permanenter Seegang in der Gondel. Wegen der schwankenden Windstärke und der Turbulenz rast die Blattspitze mit über 200 km/h eher über einen holprigen, hügeligen Acker als über eine glatte Rennstrecke. Bei Böen oder Park-Effekten sind dann noch Luftlöcher drin, so dass die Blattspitze in wenigen Sekunden mehrere Meter hin und her schwingt. All das überträgt sich auf Nabe, Rotorwelle, Gondel, auf alle WEA-Komponenten bis hinunter ins Fundament. Will man Strom aus Wind ernten, muss man das in Kauf nehmen, dafür werden WEA robust ausgelegt. All das kann man nicht vermeiden – die unnötige, ungleichmäßige Kräfteverteilung durch Rotorunwucht jedoch schon. Zumal vorzeitige Schäden einen starken Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit haben.

Jede Rotorumdrehung produziert Strom und Ermüdungsschwingungen. Bei Rotorunwucht sind die Schwingungsamplituden vergrößert. Daher fordern schon seit 1993 die DIBt-Richtlinie und andere WEA-Auslegungsnormen/-richtlinien die Einberechnung definierter Grenzwerte für Massenunwucht sowie die Blattwinkelabweichungen zueinander am Rotor. Dies soll die Produktions- und Montage-Toleranzen der riesigen Blätter abdecken. Jede WEA im Feld muss daher auch diese Grenzwerte einhalten, sonst wird sie stärker beansprucht, selbst bei weniger Wind. Anschaulich ergibt sich die Gesamt-Ermüdung der WEA aus der Summe der Ermüdungs-Schwingungen. Stärkere Unwucht-Schwingungen gehen exponentiell ein und verbrauchen Komponentenlebensdauer. Daher ist die Kenntnis der Unwucht ein wichtiger Beitrag, um dies korrekt einzuschätzen. Ermüdet ein Wanderer auf gleicher Strecke mit schwerem Rucksack genauso schnell wie mit einem leichten?

Bei einer ausgewuchteten WEA hat der Rotordrehzahl-bedingte Gondel-Orbit nur wenige Zentimeter im Durchmesser, bei unwuchtiger WEA ist er meist um den Faktor 10 größer. Zudem wird der Orbit elliptisch und liegt schräg, denn wegen der Rotorneigung fährt die WEA-Gondel bei jeder Umdrehung auch axial vor und zurück. Auch die Turmtorsion nimmt zu, was die Bremsen und Antriebe der Windrichtungsnachführung stark beansprucht. Alle Komponenten in der Gondel erleben diesen Zusatz-Seegang, weiterhin verfälscht er Blattwinkelmessungen im Betrieb, wenn sie vom Boden aus gemacht werden. Ein Experten-Schwingungsmesssystem mit drei Beschleunigungssensoren in der Gondel zeichnet jedoch diesen Orbit (und mehr) präzise auf. Es kann genau analysiert werden, ob eine reine Massenunwucht, eine Blattwinkelabweichung oder beides gleichzeitig vorliegt. Nur so werden ursachengerecht zuerst Blätter justiert und dann die wirklich benötigten Ausgleichsmassen eingebracht. Per Schwingungsmessung lassen sich die Blätter meist auf 0,1° genau justieren, was bei modernen, schlanken WEA mit geringeren Sicherheitsfaktoren sinnvoll ist. Warum ungenauer arbeiten, wenn man damit den Lebensdauerverbrauch reduzieren kann?

Aber wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass eine eigene WEA im Windpark unwuchtig ist? Unwucht tritt nicht nur nach größerem Blattschaden oder einem Blatttausch auf. Statistiken aus langjährigen Unwucht-Messungen an über 2000 WEA zeigen, dass Unwuchten hochgerechnet an 4 von 5 WEA auftreten. Von den rund 80% betroffenen WEA haben ca.

  • 5% nur Massenunwucht
  • 52% nur Blattwinkelfehler, d.h. relative Blattwinkeldifferenzen (aerodynamische Unwucht) und/oder absolute Blattwinkelabweichung vom Soll-Blattwinkel der Auslegung sowie
  • 22% kombinierte, d.h. überlagerte Unwucht an demselben Rotor.

Es können im Schnitt Unwucht-Folgekosten bis zu 4,6% des Jahresertrags auftreten. Die Studie basiert auf den Häufigkeitsverteilungen von gemessenen Blattwinkelfehlern und Massenunwuchten, sowie auf moderaten Annahmen für Schadensfälle und Ertragsausfälle.

Die negativen Folgen von Unwucht zeigen sich in vielen Bereichen, was genutzt werden kann, um potenziell betroffene WEA mit höherer Unwucht zu finden:

  • Komponenten-Schäden (Rotorblatt, Pitchsystem, Hauptlager, Getriebe, Maschinenträger, Gondeleinbauten, Windnachführung), wiederkehrende gleiche Probleme, z.B. Yawbremsen-Verschleiß. Bei größeren Unwuchten, z.B. über 2° Blattwinkelfehler, auch Rotorblattrisse, Turm-Probleme sowie „arbeitende“ Fundamentrisse nach kurzer Betriebszeit.
  • Vermehrte Abschaltungen durch Aufschaukeln und andere WEA-Fehler, längere Stillstandzeiten
  • Ertragseinbußen durch veränderte Leistungskurve
  • Erhöhte Schallemissionen mit ggf. Auflagen
  • Probleme mit elektrischen Komponenten sowie Stromqualität durch unwucht-bedingt schwankendes Drehmoment
  • Schlechtere Arbeitssicherheit, z.B. Komponentenversagen bei anwesendem Personal oder Unwohlsein durch starke Gondel-Schwankungen
  • Gegenseitige Verfälschung der Unwucht-Diagnose bei einfachem Messsystem

Periodisches Auswuchten ab Inbetriebnahme lohnt sich bei On- und Offshore-WEA, denn die Unwucht-Folgekosten liegen um Faktor 3-10 über den Messkosten im Betriebszeitraum 20 Jahre. Eine genaue Unwucht-Diagnose ist nur mit mobilem Messsystem möglich. CMS-Systeme nützen zur groben Rotorunwucht-Detektion. Daher gehört die Unwuchtmessung in jede gründliche Ursachenanalyse bei Mindererträgen und vermehrten Schadensfällen. Das gilt besonders in ertragsschwachen Jahren, an problematischen Standorten und bei WEA-Typen mit bekannten schwingungsbezogenen Schwachstellen.


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