Warum war die Überarbeitung nötig?

Jan-Henrik Müller: Wir sind in der Bearbeitung etwas deutlicher auf die Bedeutung der Nahrungsmittelversorgung für die Bevölkerung eingegangen. Wir haben den Punkt eingeführt: Planung mit Augenmaß. Das heißt, wir sehen, dass in einzelnen Räumen lokale Überlastungen stattfinden. Wir fordern noch einmal deutlich, dass man zunächst bereits versiegelte Flächen nutzen sollte, und eben auch den Punkt, dass wir in der Landwirtschaft keinen doppelten Verlust durch zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen hinnehmen können.


Doppelten Verlust?

Jan-Henrik Müller: Ja, wenn die Freiflächenphotovoltaikanlage Fläche beansprucht und gleichzeitig für diese Anlage noch Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle benötigt werden, verliert die Landwirtschaft doppelt an Flächen.


Viele Landwirte sehen PV-Freiflächen positiv, weil es sich für sie lohnt.

Jan-Henrik Müller: Für Rheinland-Pfalz müssen wir zunächst davon ausgehen, dass zwei Drittel der Flächen der Landwirte Pachtflächen sind. Im deutlich überwiegenden Fall ist der Landwirt als Pächter betroffen und profitiert nicht als Eigentümer davon.


Sie verweisen auf die Resilienz-Problematik bei der Nahrungsmittelproduktion, richtig?

Jan-Henrik Müller: Wir sehen schon, dass das Thema Nahrungsmittelversorgung zu sehr in den Hintergrund geraten ist. Ereignisse wie der Ukrainekrieg oder zuvor die Coronapandemie haben gezeigt, wie schnell es zu Lücken in den Regalen kommen kann. Wir müssen dabei auch unserer globalen Verantwortung gerecht werden. In Mitteleuropa verfügen wir über besonders fruchtbare Standorte, die auch in Zukunft unter sich verändernden Klimabedingungen noch sichere Erträge erwarten lassen. Dies hat bei einer steigenden Weltbevölkerung eine große Bedeutung. Es ist natürlich auch ein wichtiger Aspekt, dass man vor Ort Energie erzeugt. Die Energiewende unterstützen wir vollumfänglich. Es geht uns um die Art und Weise, wie die Umsetzung erfolgt. Unseres Erachtens muss der Bedarf an Flächen definiert werden, die für Freiflächenphotovoltaikanlagen benötigt werden. Davon ausgehend muss man dann auf den verschiedenen Planungsebenen entsprechende Flächenpotenziale ausweisen und Standortuntersuchungen vornehmen, die dann die aus landwirtschaftlicher Sicht am besten geeigneten Standorte aufzeigen. In aller Regel sind das ertragsschwächere Standorte, die auch keine Funktion als beispielsweise hofnahe Weidefläche besitzen.


Hat es nach Ihrer Ansicht in jüngerer Zeit Wildwuchs bei den PV-Freiflächen gegeben?

Jan-Henrik Müller: Ja, einige Regionen werden gerade überlastet. Auch die Korridore aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, also entlang von Autobahnen und Schienenwegen, beziehungsweise der baurechtlich privilegierte Bereich betreffen häufig sehr hochwertige landwirtschaftliche Flächen. Aus unserer Sicht wird hier ohne Not auf diese ertragreichen Flächen zurückgegriffen, obwohl es häufig sinnvolle Alternativen gäbe. Bei uns in Rheinland-Pfalz werden landesplanerische Ziele teils so ausgelegt, dass zur sogenannten linearen Infrastruktur auch Landesstraßen, Bundesstraßen oder Stromfreileitungen gezählt werden. Dadurch erhöht sich die Kulisse natürlich immens, und der Gedanke einer planerischen Steuerung geht verloren.


Was ist besonders wichtig bei der Einhaltung der bauleitplanerischen und raumordnerischen Verfahrensschritte?

Jan-Henrik Müller: Durch diese Planungsschritte können Flächen gefunden werden, die am besten geeignet sind – und nicht nur leicht verfügbar. Zunächst muss man einen Flächenumfang definieren, der als Beitrag zum Erreichen der energiepolitischen Ziele ausreicht. Das sollte die Obergrenze für die Ausweisung von Flächen in der Raumordnungsplanung oder Bauleitplanung sein. Zudem sollten Summationseffekte durch bereits umgesetzte Anlagen oder weitere Planungen berücksichtigt werden. Wenn schon Anlagen in einem Raum bestehen oder andere flächenintensive Planungen wie zum Beispiel Gewerbegebiete vorhanden sind, ist die Raumverträglichkeit möglicherweise nicht gegeben.


Könnte der Aufwand der Flächenbestimmung zu Verzögerungen führen?

Jan-Henrik Müller: Das Planungsrecht sieht ohnehin vor, dass außerhalb des privilegierten Korridors Bauleitpläne aufzustellen sind. Von daher muss eine gute Planung nicht zu Verzögerungen führen.


Landwirtschaftliche Vorrangflächen: Warum sollten diese gemieden werden?

Jan-Henrik Müller: Diese Flächen wurden schon in der Vergangenheit in intensiven Prozessen und unter Berücksichtigung vieler Aspekte als bedeutsame Räume ausgewiesen, die gegenüber konkurrierenden Nutzungen auf Dauer zu schützen und zu sichern sind. Da ist es nur logisch, diese auch beim Ausbau der Freiflächenphotovoltaik zu verschonen.


Sehen Sie in Agri-PV oder auch in einer Solarpflicht für neue Parkplätze eine Lösung?

Jan-Henrik Müller: Grundsätzlich ist es erst mal richtig und unsere Grundhaltung, dass man Potenziale auf versiegelten Flächen wie Parkplätzen und Gebäuden nutzen muss. Agri-PV kann auch ein Baustein der Energiewende sein. Da gibt es erfreulicherweise einige Modellprojekte, insbesondere beim Anbau von Sonderkulturen. Der Teufel steckt da im Detail, und wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung. Ich sehe durchaus auch Potenziale für Agri-PV in der Tierhaltung.


Sind die Landwirte interessiert?

Jan-Henrik Müller: Allgemein ist das Interesse bisher noch verhalten. Insbesondere der neue Privilegierungstatbestand im Baugesetzbuch, der Agri-PV-Anlagen bis zu einer Größe von 2,5 Hektar an landwirtschaftlichen Betriebsstätten ermöglicht, wird bisher kaum angenommen.

Dieses Interview von Nicole Weinhold erschien am 16. April bei Erneuerbare Energien.

 


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