Einleitung

Anlass des Positionspapiers

Am 29. März 2023 trat § 6 Abs. 1 S. 4 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) in Kraft, mit dem der Bundesgesetzgeber einen ersten Schritt zur deutschlandweiten Vereinheitlichung des Fledermausschutzes unternommen hat. Diese Vorschrift ist Teil der gesetzgeberischen Bemühungen, wie auch das sogenannte „Osterpaket“ aus dem Jahr 2022, um die festgelegten Klima- und Strommengenziele durch den Einsatz Erneuerbarer Energien zu erreichen. Trotz inhaltlicher Kritik, die der Bundesverband WindEnergie (BWE) an den einzelnen Maßnahmen des Osterpakets und des § 6 WindBG geübt hat1 und weiterhin übt, begrüßt der Verband insbesondere den Ansatz der bundesweiten Vereinfachung und Standardisierung von Regelungen und Prozessen. Ein Beispiel hierfür ist das betriebsbedingte Tötungsverbot kollisionsgefährdeter Brutvogelarten gemäß § 45b Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und somit des Ausbaus der Windenergie fordert der BWE eine bundeseinheitliche Standardisierung des Fledermausschutzes nach diesem Vorbild, wie im Koalitionsvertrag angekündigt2.

Der Schutz von Fledermäusen ist ein wichtiger Teil des Artenschutzes. Der Klimawandel bedroht die Lebensräume von Fledermäusen und eine wichtige Maßnahme dagegen ist der Ausbau Erneuerbarer Energien, insbesondere der Windenergie. Der Ausbau von Windenergieanlagen (WEA) sollte somit dazu beitragen, Fledermäuse langfristig zu schützen. Allerdings können WEA auch ein Risiko für einzelne Individuen darstellen, da diese mit den Anlagen kollidieren können. Deshalb müssen Maßnahmen getroffen werden, um den Bau und Betrieb von WEA fledermausfreundlich zu gestalten und die artenschutzrechtlichen Vorgaben umzusetzen.

Die Windenergiebranche sieht sich mit zeitintensiven und nicht aussagekräftigen Voruntersuchungen konfrontiert, wie beispielsweise Transektbegehungen, Dauererfassung oder Telemetrie. Hinzu kommen unterschiedliche Vorschriften zum Schutz von Fledermäusen auf Länderebene, was zu erheblichen Verzögerungen bei der Umsetzung von Projekten führt.

Um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Prozesse sowie Maßstäbe auf Seiten der Behörden zu vereinheitlichen, fordert der Verband den Bundesgesetzgeber auf, Regelungsbereiche zum Schutz von kollisionsgefährdeten Fledermausarten im BNatSchG zu adressieren. Dies soll einen föderalen Flickenteppich und damit einhergehende rechtliche und faktische Unsicherheiten vermeiden. Dabei sollte der Grundsatz bestehen, nur solche Untersuchungen festzuschreiben, die entscheidungserhebliche Erkenntnisse für die relevanten Prüfungen liefern, so z.B. die Besatzkontrolle.

Mit dem vorliegenden Papier stellt der BWE einen praxisnahen Ansatz vor, wie Genehmigungsverfahren auf der Basis der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse deutlich beschleunigt werden können und das Schutzniveau von Fledermäusen in Deutschland gesichert werden kann.

Zusammenfassung der Hauptstandpunkte des BWE

Der BWE spricht sich für folgende Punkte zum Fledermausschutz aus (siehe Abbildung 1):

  • In der Genehmigungsvorbereitung soll auf pauschale Schutzabstände zu Landschaftsstrukturen verzichtet werden, da diese weder fachlich noch artenschutzrechtlich zum Fledermausschutz erforderlich sind. Im Wald sollte durch eine Habitatpotenzialeinschätzung festgestellt werden, ob Lebensräume verloren gehen und diese gegebenenfalls durch entsprechende CEF-Maßnahmen3 ausgeglichen werden müssen. Im Offenland sollte auf nicht aussagekräftige Voruntersuchungen, wie Transektbegehungen, Dauererfassung oder Telemetrie, verzichtet werden. Von den Ergebnissen dieser Untersuchungen kann nicht auf die Fledermausaktivität in der Höhe geschlossen werden und sie können nicht zu spezifischen Maßnahmenvorgaben führen. Generell existieren weder im Offenland noch im Wald Untersuchungen, welche bezüglich betriebsbedingter Auswirkungen entscheidungserhebliche Erkenntnisse liefern könnten.4
  • Vor Baubeginn werden die potenziellen Quartiere auf Besatz überprüft und, wenn erforderlich, entsprechende Vermeidungsmaßnahmen mit der Naturschutzbehörde abgestimmt (Verschluss, Fällung und ausnahmsweise Umsiedlung).
  • Während der Bauphase kommt es in der Regel zu keinen erheblichen Störungen im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz BNatSchG, da sich durch das jeweilige zeitlich begrenzte Bauvorhaben der Erhaltungszustand der lokalen Fledermauspopulation nicht verschlechtert.
  • Während des Betriebs sollten pauschale Abschaltvorgaben als vorsorgliche Schutzmaßnahme angeordnet werden, die das artenschutzrechtliche Tötungsverbot ausräumen. Zusätzlich sollten Betreiber*innen durch ein freiwilliges anschließendes Gondelmonitoring die Abschaltzeiten an den Standort anpassen können.
  • Während des Betriebs im Rahmen des freiwilligen Gondelmonitorings muss eine Signifikanzschwelle für Fledermäuse bundeseinheitlich politisch gesetzt werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Tötungsrisiko für Fledermäuse nicht deutlich erhöht, soweit nur einzelne Individuen betroffen sind. Fledermausschutz wird langfristig nicht ohne Energiewende gelingen, sodass die Signifikanzschwelle den derzeitig etablierten Wert von zwei Tieren nicht unterschreiten kann. Momentan umfasst der etablierte Wert die gesamte Ordnung der Fledermäuse, muss aber rechtlich und fachlich artspezifisch sein.

1 Regelungen und Erfassungen in der Genehmigungsvorbereitung

1.1 Verzicht auf pauschale Schutzabstände zu Landschaftsstrukturen

Pauschale Schutzabstände zu Landschaftsstrukturen lassen sich fachlich nicht begründen (, sie sind bezüglich eines Kollisionsrisikos nicht wirksam und hinsichtlich von Störungen nicht erforderlich), auch gibt es keine artenschutzrechtliche Grundlage für die Einhaltung pauschaler Abstände.

Durch die von uns vorgeschlagene pauschale Abschaltregelung in Punkt 4.1 werden alle Fledermaus-arten, die potenziell im Rotorbereich fliegen könnten, ohnehin geschützt. Entsprechend ist im Rahmen einer bundeseinheitlichen Standardisierung auf solch pauschalisierte Schutzabstände zu verzichten.

1.2 Erfassung von Fledermauslebensräumen und Quartieren bei Windenergievorhaben (§ 14 BNatSchG)

1.2.1 Voruntersuchungen bei Standorten im Wald

Vorab ist anzumerken, dass Windenergievorhaben vorrangig nicht in (besonders) hochwertigen und strukturreichen Waldgebieten geplant werden, sondern in der Regel auf strukturarmen Flächen der (intensiven) Forstwirtschaft oder auf Kalamitätsflächen.

WEA stellen stets einen Eingriff in Natur und Landschaft dar, der mit entsprechenden Maßnahmen ausgeglichen werden muss, um die Funktionen des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes zu erhalten (§ 14 Abs. 1 BNatSchG). Der allgemeine Verlust an Habitatstruktur betrifft grundsätzlich keinen artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand und die betroffenen Biotoptypen, bei denen eine Multifunktionalität angenommen werden kann, werden kompensiert. Darüber hinaus müssen die Lebensräume für Fledermäuse im Eingriffsgebiet ermittelt werden und hierbei unterscheidet sich der Untersuchungsumfang in Waldgebieten in den Bundesländern und auch zwischen den Behörden teilweise erheblich.5

Um den Prozess zu vereinheitlichen und damit auch zu beschleunigen, schlägt der BWE eine bundesweit einheitliche, gutachterliche Habitatpotenzialeinschätzung vor. Die Habitatpotenzialeinschätzung kann genutzt werden, um Lebensräume für Fledermäuse zu erfassen und zu bewerten, wofür nur wenige Begehungstermine notwendig sind, um die Eingriffsfläche(n) anhand entsprechender Referenzflächen zu bewerten und ggf. notwendige und fachlich anerkannte Vermeidungs-, Verminderungs- und Kompensationsmaßnahmen gemäß der Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG) zu bestimmen. So kann auch sichergestellt werden, dass eine Zerstörung von Quartieren gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ausgeschlossen wird. Hierbei sind die Referenzflächen einige hundert Meter um den Anlagenstandort für die Bewertung erforderlich und umfassen eine mögliche Verschiebung des Anlagenstandorts an einen konfliktärmeren Standort (Micro-Siting).

Wird durch die einheitliche gutachterliche Habitatpotenzialeinschätzung ein Verlust von geeigneten Lebensräumen oder Strukturen mit tatsächlicher artenschutzrechtlicher Relevanz festgestellt,6 sind die Verluste möglichst durch die Herausnahme von gleichsam geeigneten Lebensräumen oder Strukturen in der Größe der „Verlustflächen“ aus der intensiven Forstwirtschaft vorgezogen auszugleichen (CEF-Maßnahme).

Da dies aufgrund einer Vielzahl an Faktoren nicht immer möglich ist, kommt alternativ die Umstellung gleichsam geeigneter Lebensräume und/oder Strukturen in der Größe der Verlustflächen auf ökologische Forstbewirtschaftung und der Herausnahme einzelner gutachterlich als geeignet bewerteter Baumgruppen aus der Forstwirtschaft in Frage.

Als Maßnahme bietet sich zudem an, mithilfe von Fledermauskästen wegfallendes Quartierpotenzial kurzfristig zu kompensieren. Dafür bedarf es einer entsprechenden Klarstellung des § 45b Abs. 7 BNatSchG bezüglich der Nisthilfen für kollisionsgefährdete Fledermausarten.

1.2.2 Voruntersuchungen bei Windenergievorhaben im Offenland

Bei Windenergiestandorten im Offenland kann auf Voruntersuchungen verzichtet werden. Praktisch hat sich gezeigt, dass solche Voruntersuchungen nicht dazu geeignet sind, aussagekräftige Informationen zum Vorkommen von Fledermäusen in den relevanten Höhen während des Anlagenbetriebs zu erbringen.7 Auch artenschutzrechtlich sind umfassende Untersuchungen „ins Blaue hinein“ nicht erforderlich.8 Stattdessen wird im Sinne einer Worst Case-Betrachtung das Vorkommen einer artenschutzrechtlich relevanten Aktivität von kollisionsgefährdeten Arten angenommen und die Anlagen vorsorglich mit pauschalen Abschaltzeiten (vgl. Kapitel 4.1) betrieben. Dieser im Artenschutz gängige Worst Case-Ansatz nimmt an, dass das Tötungsrisiko durch die adäquate Schutzmaßnahme der pauschalen Abschaltzeiten so gesenkt wird, dass ein Verstoß gegen das Tötungsverbot ausgeschlossen werden kann. Insofern erübrigen sich zusätzliche artenschutzrechtlich irrelevante Voruntersuchungen.9

Da im Offenland das Vorhandensein von potenziellen Quartieren leicht auszuschließen ist, können daher auch keine Verbotstatbestände nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatschG (Störungsverbot) eintreten, sodass folglich auf Voruntersuchungen (Transektbegehung, Telemetrie und Dauererfassung z.B. mittels Horchkisten) verzichtet werden kann,10

  • sofern die vom Rotor überstrichene Fläche außerhalb von als Forst ausgewiesenen Flächen liegt,
  • sofern keine Komplettentnahme von Quartieren mit Fledermausquartierpotential (Rodungen und Fällungen von Bäumen) erforderlich sind,
  • sofern sich keine anderweitigen Quartiere (z.B. Stollen, Eiskeller etc.) im Eingriffsbereich befinden.

 

2 Untersuchungen und Maßnahmen vor Baubeginn (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BNatSchG)

Durch die Habitatpotenzialeinschätzung (siehe Punkt 1.2.1) und die ggf. notwendigen und fachlich anerkannten Maßnahmen sollten die Eingriffe für Fledermäuse bereits hinreichend berücksichtigt sein. Sollten dennoch potenzielle Quartierbäume durch Fällungen betroffen sein, kann der Verbotstatbestand § 44 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 1 BNatSchG (Zerstörungs- und Tötungsverbot) durch folgende Maßnahmen ausgeschlossen werden:

  1. Besatzkontrollen vor Fällung entsprechender Bäume,
  2. unbesetzte Quartiere werden entweder unmittelbar gefällt oder verschlossen, sodass eine Fällung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann,
  3. die Fällarbeiten sind vorzugsweise in den Frostperioden im Winter vorzunehmen (, im Winter ist mit weniger Arten zu rechnen und die Wahrscheinlichkeit auf ein besetztes Quartier ist geringer). Um das Risiko für ggf. winterschlafende Individuen auszuschließen, sind Besatzkontrollen (Aus-/Einflugsbeobachtungen, akustische Überwachung, Endoskopkamera) im Herbst geeignet, um anschließend wie in Maßnahme b vorzugehen.

Sollten bei der Besatzkontrolle ein besetztes Fledermausquartier gefunden werden, kann eine Baumfällung bzw. Beseitigung des Quartiers erst nach Ausflug der Tiere erfolgen. Sollten bei der Besatzkontrolle ein besetztes Winter-Fledermausquartier gefunden werden, wird in Abstimmung mit der zuständigen Behörde der Zeitpunkt der Fällung verschoben und bei Bedarf wird die Umsiedlung des vorgefundenen besetzten Quartiers vorgenommen.

3 Schutz von Fledermäusen während der Bauphase (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG)

Störungen können baubedingt – wie auch bei der forstwirtschaftlichen Nutzung – direkt angrenzend zum Eingriffsbereich oder zur Baustellenzufahrt vorübergehend auftreten. Zunächst ist das Störungsverbot populations- und nicht individuenbezogen11 und somit müssen die Störungen erheblich im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz BNatSchG sein, das heißt, der Erhaltungszustand der lokalen Fledermauspopulation müsste sich verschlechtern. Dies scheidet bereits aus, wenn die Tiere weiterhin genügend Raum haben und in umliegende Bereiche ausweichen können, sodass in der Regel keine erheblichen Störungen vorliegen.12

4 Schutz von Fledermäusen während des Betriebs (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG)

4.1 Pauschale Abschaltung als vorsorgliche Schutzmaßnahme zur Vermeidung des betriebsbedingten Tötens

Sämtliche in Deutschland vorkommenden Fledermausarten gehören aufgrund ihrer Nennung in Anhang IV der FFH-Richtlinie zu den streng geschützten Tierarten. Die Kollisionsgefahr von Fledermäusen an WEA wurde in langjährigen Forschungsprojekten untersucht. Bis heute ist allerdings nicht bekannt, wie groß die Populationen der einzelnen Fledermausarten sind und welche Auswirkungen die Kollisionen einzelner Tiere auf die Populationen haben. Bekannt ist, dass Schlagopfer an WEA nur bestimmten Arten, Jahreszeiten und Wetterlagen zuzuordnen sind.

Zur Vermeidung von betriebsbedingten Tötungen von Fledermäusen durch WEA besteht wissenschaftlicher und rechtlicher Konsens und damit Erkenntnisstand darin, dass die pauschale Abschaltung eine vorsorgliche Schutzmaßnahme für das betriebsbedingte Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG darstellt, die grundsätzlich und mit hinlänglicher Sicherheit nach fachlicher Vernunft das Tötungsrisiko von Fledermäusen unter die Signifikanzschwelle senkt.

Wir setzen uns daher dafür ein, dass für alle neu zu genehmigenden Onshore-WEA in Deutschland das Prinzip der vorsorglichen Schutzmaßnahme angewendet wird und pauschale Abschaltalgorithmen bei den drei gleichzeitig auftretenden Faktoren Windgeschwindigkeiten von weniger als 6m/s, Temperaturen über 10 Grad Celsius und kein Niederschlag17 zu einer Abschaltung der WEA im Zeitraum von April bis Oktober von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang18 führen.

Die Abschaltung schließt mit den genannten Parametern viele der derzeitigen pauschalen Abschaltungen in den Länderleitfäden ein (BB19, HE20, NRW21, SH22, BW23, RLP24). Nach dem Gerichtsurteil des OVG Münster vom 1. März 202125 liegt der geregelte Abschaltalgorithmus (< 6 m/s) im Spektrum der fachwissenschaftlich nach dem aktuellen Forschungsstand als vertretbar eingestuften Anlaufwindgeschwindigkeit.

In der bisher größten Studie zum Kollisionsrisiko von Fledermäusen an WEA RENEBAT II wurden die Nächte mit Windgeschwindigkeiten von unter 6 m/s als besonders risikoreich identifiziert.26 Hierbei ist noch nicht bestimmt, ob tatsächlich eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos in jeder der o.g. Nächte vorliegt. Dazu bedarf es der politischen Setzung eines Signifikanzschwellenwerts (siehe Punkt 5), der eine „deutliche Erhöhung des Tötungsrisikos“ durch ein Vorhaben definiert und gleichzeitig dem gesellschaftlichen Entschluss zum Ausbau der Erneuerbaren Energien zum Schutz des Klimas und der Energieversorgung Rechnung trägt. Die vorgeschlagene pauschale Abschaltung kann daher als hinreichende Vermeidungsmaßnahme angesehen werden.

Durch die Nutzung pauschaler Abschaltzeiten ließen sich die Ertragsverluste für die Zumutbarkeitsschwelle zuverlässig ermitteln. Bei Nutzung der o.g. Parameter sollten sich die Ertragsverluste im Bereich von 2-4 % bewegen. Die Zumutbarkeitsschwelle kann auch nachträglich nicht überschritten werden, da ein Gondelmonitoring im Sinne der vorsorglichen pauschalen Abschaltung nur zur Reduzierung von Abschaltzeiten führen kann.

Auf aufwändige Genehmigungsverfahren und verzögernde Voruntersuchungen ohne entscheidungserhebliche Erkenntnisse zur Einschätzung eines etwaigen Tötungsrisikos kann damit genauso verzichtet werden wie auf das in vielen Bundesländern verpflichtende Gondelmonitoring nach Errichtung und Inbetriebnahme der WEA. Dies reduziert den Aufwand bei Vorhabenträger*innen, Gutachter*innen und Behörden erheblich, schafft dringend erforderliche Rechts- und Investitionssicherheit und ermöglicht eine sinnvolle Anwendung der Zumutbarkeitsschwelle. Davon ausgenommen ist die Quartiersuche und die Besatzkontrolle potenzieller Habitatbäume im Eingriffsbereich bei Windenergiestandorten im Wald (siehe Kapitel 1.2.2).

Ein nachträgliches Gondelmonitoring kann vom Vorhabenträger auf freiwilliger Basis zur Reduzierung des standortbezogenen Abschaltalgorithmus vorgenommen werden.

Mit dem beschriebenen Vorgehen kann sichergestellt werden, dass zum einen artenschutzfachliche Belange gegenüber nach Anlage IV der FFH-Richtlinie geschützte Fledermausarten im Sinne der Vermeidung des Eintretens des betriebsbedingten Tötungs- und Verletzungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in angemessener Weise berücksichtigt werden. Zum anderen würde diese Regelung maßgeblich zur Vereinfachung und Standardisierung sowie zur Rechtssicherheit der artenschutzrechtlichen Betrachtung von Fledermäusen in Genehmigungsverfahren für WEA und damit zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Letzteres ist unabdingbar für das Erreichen der gesetzten Ziele zum Klimaschutz und dem dafür notwendigen beschleunigten Ausbau der Windenergie an Land.

Der voranstehende Regelungsvorschlag greift einer Einzelfallbewertung nach BNatSchG unter der Maßgabe des Signifikanzbegriffs in Bezug auf das jeweilige Vorhaben vor. Die Regelung kann angepasst werden, sofern es eine individuen- und standortbezogene Bewertung unter Berücksichtigung der Signifikanz gibt.

4.2 Gondelmonitoring als freiwillige nachträgliche Erfassung zur standortbezogenen Optimierung des Windenergieanlagenbetriebs

Eine verpflichtende Beauflagung eines sogenannten Gondelmonitorings ist bei der vorsorglich angeordneten Abschaltvorgabe des vorherigen Abschnitts nicht notwendig, da dann nicht mehr von einem deutlich erhöhten Tötungsrisiko ausgegangen werden kann. Ein Gondelmonitoring sollte somit nur freiwillig anwendbar sein, um die Abschaltungen auf den Standort anzupassen. Damit kann die vorgeschlagene pauschale Abschaltung zu einer standortangepassten Abschaltung reduziert werden.

Für die Auswertung der Daten aus den Gondelerfassungen ist wie grundsätzlich bei artenschutzrechtlichen Bewertungsmethoden prinzipiell jede Methode zulässig, die allgemeinen wissenschaftlichen Standards entspricht.

5 Anforderungen an die Setzung einer Signifikanzschwelle

Die pauschalen Abschaltvorgaben (siehe 4.1) berücksichtigen bereits die besonderen Aktivitätsphasen der Fledermäuse und stellen eine effektive Schutzmaßnahme dar.27

Für das freiwillige Gondelmonitoring zur Anpassung des Betriebsalgorithmus wird jedoch weiterhin ein Schwellenwert benötigt und zur Standardisierung des Artenschutzes in Bezug auf die Artengruppe Fledermäuse ist ein bundesweit geltender Signifikanzschwellenwert zielführend. Auch für die adäquate Bewertung artenschutzrechtlicher Tötungsverbote bei der Genehmigung der WEA ist ein Schwellenwert nützlich. Allerdings fehlen zur Setzung derzeit die notwendigen Daten, sodass sich an dieser Stelle auf die nachträgliche Erfassung beschränkt wird. Auf lange Sicht sollte jedoch geprüft werden, ob an bestimmten Standorten auf die pauschale Abschaltung verzichtet werden kann, da man den Verbotstatbestand mithilfe eines Schwellenwertes von vornherein ausschließen kann.

5.1 Rechtliche Anforderungen

Fraglich ist, wann das artenschutzrechtliche Kriterium des „signifikant erhöhten Tötungsrisikos“28 (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) erfüllt ist, wobei das Bundesverwaltungsgericht klar festgestellt hat, dass es für eine solche Annahme nicht genügt, „dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind“29. Eine vollständige Risikoverringerung durch eine Signifikanzschwelle im Sinne eines Nullrisikos kann mithin ausdrücklich nicht gefordert werden.

Darüber hinaus ist es ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Signifikanz des erhöhten Tötungsrisikos durch eine wertende Betrachtung auszufüllen ist. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass das allgemeine Risiko, "auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft".30

Artensterben und Klimawandel bedingen sich gegenseitig und so auch der Artenschutz und der Windenergieausbau. Daher kann es ohne Energiewende keinen Fledermausschutz geben. Zudem liegt der Betrieb von WEA im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit (§ 45 Abs.8 Nr.1 BNatSchG). Daher muss bei der Setzung eines Schwellenwerts berücksichtig werden, dass ein höherer Schwellenwert sozialadäquat ist im Vergleich zu anderen menschlichen Aktivitäten, die nicht im überragenden öffentlichen Interesse liegen. In dem Bewusstsein, dass die bereits bestehende Klimaveränderung sich nachteilig auch auf die Fledermausfauna auswirkt, ist immer mitzudenken, welche Folgen es auch im Sinne der Biodiversität hätte, wenn WEA nicht umfassend betrieben würden. An dieser Stelle muss auch bedacht werden, dass weitgehendere Abschaltungen (insbesondere nachts und zeitgleich bei vielen Anlagen) an den WEA dazu führen würden, dass mehr Anlagen gebraucht würden, welche wiederum mit zusätzlichen Eingriffen in Natur und Landschaft einhergingen.

Ebenfalls muss noch Berücksichtigung finden, dass eine Anpassung der pauschalen Abschaltvorgaben wie oben gefordert (siehe Punkte 4.1 und 4.2) im Sinne einer vorsorglichen Schutzmaßnahme nur zu einer Reduzierung der Abschaltzeiten führen kann.

Darüber hinaus gibt das BNatSchG i.V.m. der europäischen FFH-Richtlinie vor, dass alle heimischen Fledermausarten von § 44 BNatSchG erfasst werden. Diese unterscheiden sich hinsichtlich des Kollisionsrisikos durch ihre Verhaltensweise und auch Sensibilität (Erhaltungszustand, allgemeines Sterberisiko) teils erheblich, werden aber mit den bestehenden Signifikanzwerten als Artgruppe undifferenziert betrachtet. Konkret sollte ein Schwellenwert für die ubiquitäre Zwergfledermaus höher liegen als für die wesentlich seltenere Zweifarbfledermaus. Es müssen also vielmehr artspezifische Schwellenwerte definiert werden, die mit der Anzahl der am Standort vorkommenden und als kollisionsgefährdet geltenden Fledermausarten korrelieren. Diese Schwellenwerte sollten bundesweit gelten, sodass den Akteur*innen dahingehend Rechtssicherheit gewährleistet wird und der Ausbau der Windkraft damit beschleunigt werden kann.

5.2 Praktische Anforderungen

Tatsächlich liegt der in den meisten Fällen vorgegebene Wert derzeit artenübergreifend bei zwei Tieren, den auch einige Länderleitfäden vorsehen.31 Dieser Wert hat keine populationsbiologische Grundlage und wurde nicht politisch gesetzt, sondern entstammt einem Vorschlag des Entwicklerteams des Software-Tools ProBat, der am gängigsten verwendeten Bewertungsmethode für das Gondelmonitoring. Aufgrund erheblicher einseitiger Unsicherheiten des zugrundeliegenden statistischen Modells in Bezug auf die Bewertung konfliktarmer WEA bzw. niedriger Schlagopferzahlen32 liegt das Nullrisiko bei dieser Bewertungsmethode allerdings genau im Bereich von zwei Tieren. Das heißt, dass ProBat als Ausgabewert auch zwei Schlagopfer berechnen würde, wenn tatsächlich weniger oder keine Fledermäuse geschlagen würden. Nur durch eine Abschaltung kann man diesen Wert unterschreiten und somit den Eintritt des Verbotstatbestands vermeiden. Folglich wird dieser Schwellenwert von jeder WEA überschritten und alle WEA werden bis zum statistisch-methodisch erklärbaren jedoch rechtlich unzulässigen Nullrisiko abgeschaltet. Dieser statistische Hintergrund muss bei der Setzung eines Schwellenwertes für ProBat beachtet werden. Der Schwellenwert sollte zudem berücksichtigen, dass neben ProBat auch andere Bewertungsmethoden rechtlich zulässig sind, sofern sie wissenschaftliche Kriterien erfüllen. Alternativ bietet es sich an, neben dem absoluten Schwellenwert von ProBat auch einen relativen Schwellenwert zu setzen.

Abschließend sollten bei der politischen Festlegung der Schwellenwerte alle maßgeblich betroffenen Akteur*innen in den Prozess mit eingebunden werden, um das volle Interessenspektrum angemessen zu berücksichtigen.

 

Haftungsausschluss

Die in diesem Papier enthaltenen Angaben und Informationen sind nach bestem Wissen erhoben, geprüft und zusammengestellt. Eine Haftung für unvollständige oder unrichtige Angaben, Informationen und Empfehlungen ist ausgeschlossen, sofern diese nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich verbreitet wurden.

Der Bundesverband WindEnergie e.V. ist als registrierter Interessenvertreter im Lobbyregister des Deutschen Bundestages unter der Registernummer R002154 eingetragen. Den Eintrag des BWE finden Sie hier.

Ansprechpartner

Moritz Röhrs
Fachreferent für Planung und Naturschutz
m.roehrs@wind-energie.de

Autoren

  • Moritz Röhrs
    Fachreferent für Planung und Naturschutz
  • Lukas Schnürpel
    Fachreferent Planung/Genehmigung/Naturschutz

Datum

Juni 2023

 

Fußnoten

  • 1
    BWE (2023): Stellungnahme zum Entwurf eines Vollzugsleitfadens zu § 6 WindBG.
  • 2
    „Wir schaffen Rechtssicherheit im Artenschutzrecht, u. a. durch die Anwendung einer bundeseinheitlichen Bewertungsmethode bei der Artenschutzprüfung von Windenergievorhaben“ (Bundesregierung (2021): Koalitionsvertrag, S. 56).
  • 3
    Continuous ecological functionality-measures (CEF-Maßmaßnahmen) sind vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, um Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang zu erhalten.
  • 4
    Telemetrie führt zu Beeinträchtigungen der Individuen und muss daher entscheidungserhebliche Erkenntnisse zum Schutz der Tiere liefern, ansonsten wird die erforderliche Ausnahme zum Nachstellen und Fangen widerrechtlich erteilt.
  • 5
    Besonders umfangreich in Thüringen: Institut für Tierökologie und Naturbildung (2015): Arbeitshilfe Fledermäuse und Windenergie in Thüringen; vgl. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (2017): Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen“.
  • 6
    Dies sind essenzielle Habitate, deren Verlust zu einer Entwertung des Lebensraums im Sinne des Verlusts von Fortpflanzungsstätten führen können.
  • 7
    Daher sieht beispielswiese der Artenschutzleitfaden NRW auch keine Voruntersuchungen vor, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (2017): Artenschutzleitfaden NRW, S. 22 f; Landesamt für Naturschutz Rheinland-Pfalz (2023): Vereinfachung von Untersuchungen für Fledermäuse in Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen in Rheinland-Pfalz; Kommission (2020): Leitfaden zu Windkraftprojekten und den Naturschutzvorschriften der EU, S. 139.
  • 8
    "Sind Begehungen durchgeführt worden und ergibt auch die Auswertung vorhandener sonstiger Erkenntnisse und Literatur […] keinen Anhaltspunkt für ein artenschutzrechtlich relevantes Vorkommen, besteht kein Anlass für weitere Untersuchungen [...]. Untersuchungen quasi „ins Blaue hinein“ sind nicht veranlasst" (Urteil vom 09.07.2009 - BVerwG 4 C 12.07 Rn. 44.)
  • 9
    OVG NRW 8 A 4256/19 vom 20.11.20 Rn.58, 60.
  • 10
    Landesamt für Naturschutz Rheinland-Pfalz (2023): Vereinfachung von Untersuchungen für Fledermäuse in Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen in Rheinland-Pfalz, S. 3.
  • 11
    Agatz (2023): Windenergie-Handbuch, S. 263.
  • 12
    Niedersächsisches OVG, Urteil vom 28.01.2010 - 12 LB 243/07 Rn.51
  • 17
    Niederschlag geringer/ gleich 0,2 mm/h siehe u.a. Bayrisches Landesamt für Umwelt (2017): Arbeitshilfe Fledermausschutz und Umwelt, S. 13.
  • 18
    Siehe Fußnote 13.
  • 19
    Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (13.12.2010): TAK Brandenburg Anlage 3 „Handlungsempfehlung zum Umgang mit Fledermäusen bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Brandenburg“.
  • 20
    Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2021): Verwaltungsvorschrift „Naturschutz/ Windenergie“.
  • 21
    Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW (10.11.2017): Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in NRW“.
  • 22
    Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (2017): Integration artenschutzrechtlicher Vorgaben in Windkraftgenehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG).
  • 23
    Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (01.04.2014): Hinweise zur Untersuchung von Fledermausarten bei Bauleitplanung und Genehmigung für Windenergieanlagen.
  • 24
    Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz (23.07.2018): Arbeitshilfe Mopsfledermaus – Untersuchungs- und Bewertungsrahmen für die Genehmigung von Windenergieanlagen.
  • 25
    Siehe Fußnote 14.
  • 26
    Behr et al. (2011): Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen (RENEBAT I).
  • 27
    OVG Nordrhein-Westfalen 8 A 4256/19 vom 20.11.20; OVG Rheinland-Pfalz 8 A 11958/17 vom 20.09.18; OVG Niedersachsen 12 LB 118/16 vom 25.10.18; VGH Baden-Württemberg 10 S 1485/21 vom 05.10.22; Agatz (2023): Windenergie-Handbuch, S.454.
  • 28
    BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 [301 f.], Rn. 91.
  • 29
    Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2009 - 4 C 12.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 35 Rn. 42; siehe auch BWE (2023): Stellungnahme Signifikanzschwellenwert.
  • 30
    Beschluss vom 07.01.2020 – BVerwG 4 B 20.19 Rn.5.
  • 31
    Mecklenburg-Vorpommern; Bayern; OVG Rheinland-Pfalz 1 B 11505/20 vom 09.02.21 in Agatz (2023): Windenergie-Handbuch, S.454.
  • 32
    Mercker et al. (2023): Pilotstudie „Erprobung Probabilistik“, S. 64.