Stellen Sie sich vor, ein Rotorblatt Ihrer Windenergieanlage erleidet einen Schaden und die Anlage muss vorerst gestoppt werden. Pro Ausfalltag können rasch Kosten von mehreren 10.000 Euro entstehen. Sollte ein vollständiger Austausch des Rotorblatts erforderlich sein, können die Kosten schnell auf rund 200.000 Euro ansteigen. Schäden am Rotorblatt, am Blattlager oder den Blattbolzen führen mitunter auch zu einem Abwurf des Blattes. Wird dabei der Turm beschädigt, entsteht meist ein Totalschaden der Anlage und die Investition in Millionenhöhe ist vernichtet. Um derartige Szenarien zu vermeiden, ist die kontinuierliche Überwachung von Rotorblättern und Blattlagern unerlässlich.

Ein effektives Condition Monitoring System (CMS) hilft, teure Ausfälle zu verhindern. Durch eine kontinuierliche Überwachung können Betreiber auftretende Probleme frühzeitig erkennen und beheben, bevor sie zu größeren Schäden führen. Dies spart nicht nur Reparaturkosten, sondern reduziert auch die Stillstandzeiten der Anlagen erheblich. Zusätzlich lassen sich durch eine verbesserte Zustandsüberwachung der Anlagen die Risiken für Versicherer besser einschätzen, was Versicherungsprämien minimieren kann.

Mit Condition Monitoring werden Daten gesammelt und analysiert, um den Zustand von Maschinen und Anlagen zu überwachen. Bei Windenergieanlagen konzentriert sich das Monitoring auf die Überwachung von Rotorblättern, Getrieben, Generatoren und Lager. Windenergieanlagen sind extremen Belastungen ausgesetzt, darunter wechselnde Windlasten, Temperaturschwankungen und Korrosion. Diese Bedingungen führen zu Verschleiß und Schäden an verschiedenen Komponenten. Ein effektives CMS hilft, die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Lebensdauer der Anlage und ihrer Komponenten besser abzuschätzen.

 

Condition Monitoring für Rotorblätter

Aufgrund ihrer exponierten Lage und der dynamischen Belastungen sind Rotorblätter von Windenergieanlagen besonders anfällig für Schäden. Ihre Überwachung ist somit aus Gründen der Anlagensicherheit und der Ertragssicherung essenziell. Typische Schäden an Rotorblättern wie Delaminationen, Risse, Erosion, Blitzeinschläge und strukturelle Defekte können die Effizienz der Anlage beeinträchtigen und im schlimmsten Fall zu einem vollständigen Ausfall des Rotorblattes führen.

Mittels Rotorblattüberwachung lässt sich diesen Szenarien effizient vorbeugen. Das Monitoring der Rotorblätter umfasst traditionell Verfahren, wie beispielsweise die visuelle Inspektion oder die Ultraschallprüfung. Einer der innovativsten Ansätze ist der Einsatz von modernen, optisch angebundenen, mikroelektromechanischen Systemen (MEMS), die in die Rotorblätter integriert werden und eine kontinuierliche Überwachung ermöglichen.

Optisch angebundene MEMS bieten zahlreiche Vorteile, darunter hohe Empfindlichkeit, Korrosionsbeständigkeit und die Fähigkeit, über große Entfernungen präzise Messungen durchzuführen. Sie können zur Erfassung von Vibration in drei Dimensionen sowie in Kombination mit Gyroskopen und Temperaturfühlern eingesetzt werden, wodurch eine umfassende Überwachung der Rotorblätter möglich ist. Die erfassten Daten werden mithilfe moderner Analyseverfahren, wie Machine Learning und künstlicher Intelligenz, ausgewertet. Diese Technologien ermöglichen eine präzise Fehlerdiagnose und die Vorhersage zukünftiger Schäden, was eine proaktive Wartungsplanung unterstützt.

CMS ermöglichen die frühzeitige Erkennung der meisten Rotorblattschäden direkt am Entstehungsort. Die Vorteile einer solchen Früherkennung liegen auf der Hand: Neben den Lebenszykluskosten werden auch Reparatur- und Stillstandkosten der Anlage gesenkt. Zusätzlich optimieren CMS den Ertrag durch frühe Erkennung von Rotorblattfehlstellungen und tragen zur Werterhaltung der Anlagen bei.

Voraussetzung für eine zuverlässige Zustandsüberwachung ist eine blitzstromfeste und hochpräzise Sensorik im CMS. Eine ergänzende Online-Plattform kann Betreibern und Wartungsunternehmen einen besonders einfachen Zugriff auf Daten, Analysen und Informationen bieten.

Je nach Einsatzort empfiehlt es sich, auf ein CMS zu setzen, das dank hochpräzisen Technologien zudem Eisbildung an der Turbine erkennt – speziell auch während des Stillstands. Die Funktion, einen automatischen Stopp bei Eiserkennung und einen Neustart nach Ende der Vereisung auszulösen, minimiert Ertragsverluste deutlich.

 

Schraubenüberwachung für Blattlager

Die Blattlager sind kritische Verbindungselemente, die die Rotorblätter mit der Nabe der Windenergieanlage verbinden. Die Schrauben, die diese Verbindung sichern, sind hohen Belastungen ausgesetzt und müssen regelmäßig überwacht werden, um die strukturelle Integrität der Anlage zu gewährleisten. Schnell kommt es hier zu Lockerungen oder Brüchen, was schwerwiegende Folgen für die Sicherheit und Funktionalität der Anlage hat. Ein effektives Überwachungssystem ist daher unerlässlich, um solche Risiken zu minimieren.

Es gibt verschiedene Ansätze, speziell zur Überwachung der Schrauben in Blattlagern. In der Regel werden hier mechanische, elektrische und magnetische Methoden herangezogen. Ganz konkret handelt es sich dabei um Ultraschallprüfungen, magnetische Streuflussanalysen und Dehnmessstreifen. Letztere messen die Verformung der Schrauben unter Belastung. Durch die kontinuierliche Überwachung der Dehnung können Veränderungen im Zustand der Schrauben frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Die Integration der Überwachungssysteme in die Steuerungs- und Datenverarbeitungssysteme der Windenergieanlage ist entscheidend für eine effektive Überwachung. Moderne CMS nutzen Internet of Things (IoT)-Plattformen, um die gesammelten Daten in Echtzeit zu analysieren und entsprechende Warnmeldungen auszugeben.

 

Bolzenbruch-Detektionssysteme

Bolzenbrüche können durch Materialermüdung, Korrosion, Überlastung oder Herstellungsfehler verursacht werden. Die Auswirkungen eines Bolzenbruchs können schwerwiegend sein, einschließlich struktureller Schäden, Betriebsunterbrechungen und hoher Reparaturkosten.

Akustische Emissionsanalyse, Schwingungsanalyse und magnetische Methoden zählen zu den gängigsten Technologien zur Bolzenbruch-Detektion. Die akustische Emissionsanalyse nutzt die Schallemissionen, die bei der Entstehung von Rissen und Brüchen auftreten, zur Detektion von Schäden. Dieses Verfahren ist besonders empfindlich und kann Brüche in einem frühen Stadium erkennen. Die Schwingungsanalyse misst die Vibrationen der Bolzen und kann Veränderungen im Schwingungsverhalten, die auf einen Bruch hinweisen, erkennen. Diese Methode ist weit verbreitet und bietet eine hohe Zuverlässigkeit. Magnetische Techniken nutzen die Veränderung der magnetischen Eigenschaften der Bolzen zur Detektion von Brüchen. Dieser Ansatz ist besonders effektiv bei der Erkennung von Oberflächenfehlern und bietet eine hohe Genauigkeit.

Eins der führenden Unternehmen auf dem Gebiet des Condition Monitoring, Weidmüller, nutzt bei der Bolzenbrucherkennung beispielsweise eine Kombination aus mechanischer und elektrischer Lösung. Dabei wird ein Metallblech mithilfe von Magneten über den Bolzen befestigt. Das Blech verhindert das Herausfallen der Bolzen nach einem Bruch und somit Folgeschäden durch die herumfliegenden Bolzen. Zudem ist auf dem Blech ein Spannungspotential aufgelegt, das den Kontakt des gebrochenen Bolzens auf dem Blech misst. So ist das Unternehmen in der Lage, bei einem Bolzenbruch einen entsprechenden Messwert auszugeben. Die Integration von Bolzenbruch-Detektionssystemen in die Windenergieanlage erfordert eine sorgfältige Planung und Konfiguration durch Experten.

 

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven von CMS in Windenergieanlagen

Für Betreiber von Windenergieanlagen gibt es eine Vielzahl von Anbietern, die spezialisierte Überwachungssysteme für Rotorblätter und Blattlager anbieten. Der Einsatz solcher Systeme ist besonders sinnvoll bei älteren Anlagen, die anfälliger für Schäden sind, sowie bei modernen Anlagen mit großen Rotorblättern in extremen Umgebungen, wie beispielsweise Offshore-Windparks. Trotz der fortschrittlichen Technologien und Systeme gibt es weiterhin Herausforderungen bei der Implementierung und Nutzung von Condition Monitoring Systemen in Windenergieanlagen. Zu den wichtigsten Herausforderungen gehören die Kosten für die Implementierung und Wartung der Systeme, die Integration in bestehende Infrastrukturen, die Verarbeitung großer Datenmengen und die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Technologien, um mit den steigenden Anforderungen und neuen Erkenntnissen Schritt zu halten. Anbieter entwickeln kontinuierlich innovative Ansätze, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Die Zukunft der Condition Monitoring Systeme in der Windenergie sieht vielversprechend aus. Mit der Weiterentwicklung der Sensor- und Analysetechnologien, der zunehmenden Verbreitung des IoT und der Anwendung von künstlicher Intelligenz werden die Systeme immer präziser und effizienter. Zukünftige Entwicklungen könnten auch den Einsatz von autonomen Drohnen, Robotern und Augmented Reality-Technologien umfassen, um die Inspektion und Wartung weiter zu verbessern. Um diesen Entwicklungen Sorge zu tragen, beschäftigen Überwachungsanbieter wie Weidmüller hochspezialisierte Daten-Analysten und Technologieentwickler. Auch Kooperationen mit AI-Pionieren sind hier ein Schlüssel zur Industrieübergreifenden Weiterentwicklung, wie bei Weidmüller und dem Berliner Technologieunternehmen Turbit.

 

Über den Autor

Steffen Niggemann ist Head of Product Management & Business Development Wind bei Weidmüller. Vor seiner jetzigen Tätigkeit war er als Produktmanager für Condition Monitoring Systeme bei Weidmüller tätig.

Dieser Beitrag erschien im BWE-BetreiberBrief 3-2024.

 


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